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Leerstelle: Klaus Dingers letzte Wirkungsstätte | Foto: Jacob Frössén

Endlose Gerade

Das Internationale Film Festival Rotterdam überfordert im besten Sinne

Kein SrPlus-Artikel

»Absolut ingenting«, rein gar nichts also habe sie für die Musik von Neu! übrig, erklärt eine Schwedin dem Filmemacher Jacob Frössén knapp über das Telefon – und es ist klar, dass sie nicht länger belästigt werden will. Ihren Namen erfahren wir in »The Heart Is a Drum« nicht, nur den Kosenamen, den ihr Klaus Dinger, Schlagzeuger der Düsseldorfer Krautrock-Band Neu!, gegeben hat: »Honig«. »Lieber Honig« heißt auch ein Stück auf dem Debütalbum von Neu!, in dem die Geräusche zu hören sind, die Dinger Anfang der 70er Jahre bei einer Bootsfahrt mit seiner großen Liebe aufgenommen hat.

In Frösséns Film, der Langversion einer Dokumentation, die bereits unter dem etwas in die irreführenden Titel »Klaus Dinger, Urvater des Techno« auf Arte lief, wird die Liebesgeschichte zum roten Faden einer ungestillten Sehnsucht, die sich durch Dingers Leben zog. »The Heart Is a Drum« bildet gewissermaßen den tragischen Gegenpart zu »Leonard & Marianne«, dem Dokumentarfilm über Leonard Cohens Verhältnis zur Norwegerin Marianne Ihle, der letztes Jahr in den deutschen Kinos lief. Er endet mit einem rührenden Brief des kanadischen Singer-Songwriters an das Totenbett seiner langjährigen Lebensgefährtin, der kurz vor dessen eigenem Tod zugestellt wird. In »The Heart Is a Drum« schließt sich der Kreis nicht: »Honig« will nicht an Dinger erinnert werden, auch nicht zehn Jahre nach dessen Tod.

Was von Dinger bleibt, ist vor allem ein Beat, den sie im anglo­amerika­nischen Raum »Motorik« nennen und mit einer etwas klischeehaften Vorstellung von der deutschen Mensch-Maschine verbinden. Dinger hat eine poetischere Umschreibung für sein Spiel benutzt: »Endlose Gerade«. Das trifft es, der Neu!-Puls erzeugt tatsächlich das Gefühl eines ewigen Nach-vorne-Treibens. Leider gibt es wenige audiovisuelle Zeugnisse von ihm und Weggefährten wie Michael Rother bleiben vage, wenn sie auf die persönlichen Dämonen angesprochen werden, die Dinger offensichtlich zu bekämpfen hatte. So ist Frössén darauf angewiesen, andere Musiker über den Einfluss Dingers auf ihr Werk zu befragen. Dabei kommt der Film manchmal vom Weg ab, aber wenn etwa Iggy Pop zwischendrin über deutsche Türklinken philosophiert oder Bobby Gillespie von Primal Scream amüsiert von seinen ersten musikalischen Gehversuchen erzählt – oder besser: sie nachspielt –, mag man dem Film das nicht übelnehmen.

»The Heart Is a Drum« lief in einer Sektion mit Musikfilmen, die das Internationale Filmfestival Rotterdam schon seit einigen Jahren im Programm hat. Solche Entdeckungen sind typisch für das Festival, das im Vergleich zur wenig später stattfindenden Berlinale von Köln aus um die Ecke liegt, aber hier deutlich weniger bekannt ist. Rotterdams ausuferndes Programm von über 500 Filmen, deutlich mehr als die Berlinale, in unzähligen Sektionen ist je nach Tagesstimmung mal frustrierend unübersichtlich mal inspirierend überfordernd, aber immer überraschend und exzentrisch. Dabei ist sympathisch, dass Rotterdam von allen großen A-Festivals Europas, also Festivals mit einem Wettbewerb, in dem ausschließlich internationale Premieren gezeigt werden, am wenigsten auf Glamour und große Namen setzt. Hier wird kein Film eingeladen, weil ein US-Star über einen roten Teppich stöckelt. Der Wettbewerb um den »Goldenen Tiger« spielt eine untergeordnete Rolle in einem ungewöhnlich hierarchiefreien Programm. Das Publikum scheint es nicht zu stören, über 300.000 Zuschauer erreicht das Festival in den letzten Jahren konstant, nächstes Jahr wird es seinen 50. Geburtstag feiern.

Seit 1995 immer wieder zu Gast in Rotterdam ist der iranischstämmige Amerikaner Caveh Zahedi, der dieses Jahr »How to Overthrow the US Government (Legally)« auf dem Festival präsentierte. Der Titel des Films bezieht sich auf den gleichnamigen Kurs, den er zusammen mit Jacques Servin, bekannt als eine Hälfte des Polit-Prankster-Duos Yes-Men, an einer Uni in New York gegeben hat – das »Legally« musste er auf Druck seiner Hochschule hinzufügen.

Der Film dokumentiert, was im Kurs passiert ist. Schnell geht es weniger um den Umsturz der Regierung als um die Machtverhältnisse zwischen Studierenden und ihren alles andere als souveränen Dozenten und um individuelle Probleme der Kursteilnehmer. Aber auch die haben ihre politische Dimension: Als klar wird, dass eine Studentin sich den Besuch der Uni im nächsten Semester nicht mehr leisten können wird, beschließen alle, Ideen zu sammeln, wie sie zusammen das Geld beschaffen könnten. Aber zu einer tränenrührigen Geschichte selbstlosen Engagements wird »How to Overthrow the US Government (Legally)« nicht. Denn die Möglichkeiten der Selbstsabotage sind mannigfaltig, das beweist Zahedi immer wieder mit seinen Projekten (empfohlen sei die Webserie »The Show About the Show« auf Youtube). Am Ende hat der Kurs konkret politisch nichts erreicht, aber immerhin ist ein lustiger und auch bewegender Film entstanden, der ebenso viel über die Gegenwart der USA aussagt wir über allzu menschliche Konstanten des Daseins auf der Erde.